Beatings will continue until morale improves

Es ist eine Beobachtung die ich selbst schon einige Male gemacht habe: Rollenspieler scheinen oft an ihrem System und an ihrer Art zu spielen zu kleben. Neue Ideen werden misstrauisch beäugt und erst wenn sie sich über jeden Zweifel hinaus etabliert haben in das favorisierte System bzw. die Hausregelsammlung der eigenen Gruppe übernommen. Der Odyssee-Con hat jahrelang versucht einen Gegenimpuls zu setzen, in dem man eben die häufigsten Heimsysteme kategorisch ausgeschlossen hat, und diesen Vorstoß in neue Gefilde letztendlich mit schwindenden Besucherzahlen und Teilnehmern bezahlt.

Das Ausfallen der Odyssee dieses Jahr hat mich zwar sehr enttäuscht, aber nicht sonderlich überrascht. Das Hobby Rollenspiel ist im Herzen konservativ. Daher sollte es nicht wundern, dass es vermehrt konservative Menschen anzieht. Warum aber ist Rollenspiel so konservativ und so attraktiv für konservative Menschen?

Das liegt zum einen daran, dass ein Großteil der gespielten Rollenspiele eine Form des historischen Exotismus betreiben und feiern. Das historisch Vergangene wird oft durch Fantasy/Pulp-elemente entfremdet und kann so durch sein exotisches Anders-sein aufregend und besonders wirken, ohne die beiden Eigenschaften tatsächlich zu besitzen. In seiner abstoßendsten Form werden diese übernatürlichen Einflüsse genutzt, um reale historische Gräueltaten zu verklären.

Das Rollenspiel verspricht Spielern eine Chance eine Zeit und Ort zum „Fremden“ zu machen. So kann man sich darin ergehen auf etwas herabzublicken ohne dafür etwas geleistet zu haben. Man ist einfach besser, weil man eben nicht so „anders“ ist wie die Welt in der man sich bewegt. Man wird in seinem Wesen bestätigt, ohne sich selbst kritisch hinterfragen zu müssen. (Ein Kniff, der auch jenseits der Hobbygrenzen erschreckend gut funktioniert.) Die Bestätigung des „Normalen“, des „Heimischen“ im Rollenspielhobby geht damit natürlich einher. Mehr noch, das „Normale“ und „Heimische“ wird mit dem Selbst gleich gesetzt. Ein gefährlicher Schritt, da er vor allem dazu einlädt, eine kognitive Grenze zwischen sich und anderen Menschen aufzubauen, die man nach Belieben vertiefen und verhärten kann. Gemeinschaft wird mit Hilfe von Ausgrenzung geschaffen. Man definiert sich als Gruppe nicht, weil man Ähnlichkeiten mit anderen Menschen sucht, sondern die Unterschiede in ihrer Wichtigkeit aufwertet. Man erinnere sich nur an die beinahe obsessive Beschäftigung mit Definitionen von Old School zu Story Games, o. ä.; aber auch die elenden Debatten über Spielstile und Spielvorlieben bewegen sich im gleichen Fahrwasser.

Eine Hobbyszene hält nicht zuletzt deshalb zusammen, weil sie von Menschen befüllt werden, die „so ticken wie man selbst“. Rollenspiel sind als Beschäftigung und Form des sozialen Miteinander unter anderem deshalb so attraktiv geworden, weil sie keinen Aufwand und keinen Ehrgeiz von den Spielern verlangen. Diese Attitüde habe ich in den letzten 10 Jahren immer wieder in Cons und einzelnen Rollenspielrunden erlebt. Es ist ein Spielverständnis, das man auch online immer wieder bestätigt sieht. Ein Rollenspieler muss einfach nur da sein. Er muss sich um nichts kümmern als um seinen eigenen Spaß, denn schließlich ist „Spaß haben“ das einzige Ziel. Er muss vor nichts Respekt haben außer in besonderen Fällen den Befindlichkeiten seiner Mitspieler. Aber da man ja unter „Freunden“ ist, kommt auch jede Rücksichtnahme schnell unter die Räder. Da „Freunde“ vor allem daran erkennbar sind, dass man in ihrer Gegenwart sich des eigenen Verhaltens nichts bewusst sein muss.

Als Rollenspieler kann man seinem Bedürfnis nach Klugscheißerei, Besserwisserei und Angeberei jederzeit nachgehen, weil so ein Verhalten – vor allem wenn es vor Sarkasmus und Zynismus nur so trieft – ihn in den seltensten Fällen aus einer Spielrunde katapultiert. Während eine reifere Gruppe an Freunden einen solchen Mitspielern eher früher als später aussortieren würde, ringen sich Rollenspieler in der Regel einen Wettkampf darüber wer klüger scheißen, besser wissen und ätzender Frotzeln kann.

Das Rollenspielhobby hat sich ein Sozialbiotop geschaffen, in dem es keinen Grund gibt die eigenen zwischenmenschlichen Fähigkeiten zu hinterfragen oder zu verändern. Das Hobby dient als Zufluchtsort vor dem Erwachsensein, vor Verantwortung gegenüber anderen Menschen und vor den nicht-binären Zuständen, die einen umgeben. In einem Rollenspiel gibt es gut oder böse, Erfolg oder Niederlage, richtig oder falsch. Diese Kategorien werden nicht hinterfragt, sie werden nicht angezweifelt. Im Rollenspiel sind Werte noch heilig. Mit anderen Worten; Rollenspiele sind eine wundervolle Traumwelt für den konservativen Geist.

Durch die Sammlung eben solcher Spieler wird aber auch das Rollenspiel über kurz oder lang zu einer anti-progressiven Einstellung verdammt. Das sollte auch nicht wundern. Ein Hobby, das ein Umfeld verspricht in dem man weder emotional, sozial oder intellektuell herausgefordert wird und welches obendrein noch wiederholt unreflektiert positive Bestätigung für alles liefert, was man selbst tut oder denkt, möchten die wenigsten aufgeben oder gefährden. Im Gegenteil: Veränderung wird immer als Angriff und als Bedrohung verstanden.

Daher überrascht es mich auch nicht, dass sich eine Spielkultur eingebürgert hat, die Risiken ablehnt, Ehrgeiz verpönt und jedem Streben über sich hinaus zu wachsen unlautere Absichten unterstellt. In einem großen Coup der Ironie ist der größte Frevel, den man unter Rollenspielern begehen kann, dass man vorgibt etwas zu sein was man vielleicht nicht ist. Aus dem Englischen stammt der Begriff des „pretentious gamers“, des prätentiösen Spielers, der die Vermessenheit besitzt mehr sein zu wollen als er ist. Diese Feindlichkeit gegenüber dem Anderen und dem Fremden führt unweigerlich dazu, dass einige Facetten des Rollenspiels an den Rand gedrängt werden und verkümmern.

Es ist auch kein Zufall, dass sich Sprach- und Feindbilder in das Hobby einschleichen, die ihre Beliebtheit aus einem Umfeld beziehen, welches eine Menschenverachtung und einen Hass pflegt, der kaum zu fassen ist. Der Gebrauch von Begriffen wie „social justice warrior“ als grundlegende Unterstellung der Verlogenheit und der Unterdrückung von Selbstbestimmung hat vor allem durch den menschen-, frauen- und fremdenfeindlichen Flügel der Videospieler an Aufmerksamkeit in Nerdkreisen gewonnen. Denn damit liegt ein griffiges Werkzeug parat mit dem jede Kritik an der Kultur des Hobbies sofort diffamiert und verunglimpft werden kann. Mehr noch, man muss sich der Kritik nicht ein mal stellen, weil die Person dahinter umgehend diskreditiert wurde.

Hinter dem „social justice warrior“ stehe ja immer eine Agenda: eine perfide Absicht das Hobby zu verändern und die unschuldigen Nerds, den einfachen Michel, daraus zu verdrängen. Es wird ein unauflöslicher Konflikt herbeigeredet, der zwei diffus gezeichnete Gruppen gegeneinander aufwiegelt. Auf der einen Seite gibt es die „Normalen“, die alles so behalten würde wie es ist, die keine Kritik sehen oder wahr haben wollen und die sich mit allen Mitteln dagegen wehren wollen sich in ihrem Hobby wie Erwachsene zu verhalten. Rücksichtnahme auf andere? Ein Bewusstsein für die Inhalte der eigenen Spiele? Ein Konsens mit anderen Spielvorlieben? PAH! Das ist alles politisch korrekter Unsinn! Alles Neue ist schlecht. Alle Kritik ist Verachtung. Wer nicht uneingeschränkt meiner Meinung ist, will mich mundtot machen.

Auf der anderen Seite die Unaufrichtigen und Verlogenen, die man vor allem daran erkennt, dass sie ihr Gerede von Gleichberechtigung und Sensibilität nutzen, um sich wichtig zu machen. Schlimmer noch, sie halten sich selbst auch nicht jederzeit und immer wieder an ihre eigenen Ansprüche (im Zweifelsfall überzeichnet man diese einfach in absurde Extreme) und sind daher „hypocrits“. Schenheilig und damit widerlegt. Denn wie jeder weiß, eine Feststellung ist nur dann zutreffend wenn der Sprechende sie selbst vorlebt.

Das ist die bizarre, anti-progressive und zerstörerische Kultur, die im Rollenspiel Fuß gefasst hat und zunehmend stärker wird. Die Saat des Hasses wurde vor Jahren schon gelegt, die Früchte tragen wir jetzt und schauen dabei zu wie das Hobby immer mehr Menschen anzieht, die vor allem die eigene reaktionäre Weltansicht zelebrieren und einen immer-währenden Belagerungszustand empfinden.

Dabei liebe ich die Idee des Rollenspiels. Es ist eine gemeinschaftliche Aktivität, die mich wie nur wenige andere zu elektrisieren weiß. Ich bin begeistert davon, was für Freundschaften daraus erwachsen können. Nicht weil man sich gegenseitig duldet bis man sich an einander gewöhnt hat, sondern weil man Seiten an sich entdeckt und anderen Menschen zeigt, die man womöglich sonst nie erforscht hätte. Weil man gemeinsam spielt, erlebt, erfährt und so zusammen Erinnerungen schafft, die tief in einem verankert bleiben können. Ich bin nicht zuletzt deshalb so vom Potential von Rollenspielen überzeugt, weil ich es eben so erlebt habe. Aber ich muss leider auch feststellen, dass die Menschen, die ein solches Potential ausschöpfen wollen und können, und die Gruppen, die zumindest in der Lage wären das Hobby auch nur für einen einzigen Abend in diese Bereiche zu bringen, zunehmend weniger werden. Vor allem aber gibt es immer weniger Menschen, die dafür kämpfen eben solche Seiten des Hobbies aufzuzeigen und das Hobby damit zu bewerben.

Es nehmen zunehmend nur noch nur die konservativen Spinner und Hetzer das Mikrofon in die Hand.

Über Georgios

Wurde geboren.

6 Antworten zu “Beatings will continue until morale improves”

  1. Piotr sagt :

    Hach, da wird mir doch warm ums Herz.

    Hinreißend heroisch hingekotzt ein von mir ebenso bemängeltes Problem aufgegriffen und diese ganze Gamergate-Hysterie noch mitgenommen. „Spiele sind ein Kulturgut! Hey, was fällt euch ein, Spiele als Kulturgut zu behandeln, wir wollen doch nur Spaß haben!“ Sollte ich sowas noch mal hören, weiß ich jetzt, worauf ich verweisen kann.

    Die Sexismus-Apologeten als reaktionär und konservativ zu beschimpfen, ist etwas, worüber ich noch nicht nachgedacht habe und tut völlig neue Möglichkeiten auf. Vielen Dank für diese Inspiration.

    Und jetzt setze ich mich wieder an meinen Spieltisch und spiele FATE mit zeitreisenden Smart-Home-Programmen, sprachgewandten Kühlschranktycoontöchtern und mörderischen Kampfnonnen als SCs in einem Setting mit Aliens, deren Sprache an Dada-Gedichte von Kurt Schwitters angelehnt ist. Kein Witz 🙂

  2. RPGnosis sagt :

    Wow. Was eine Klatsche.
    Klingt, als ob du viel zu lange mit den ganz falschen Leuten zu tun hattest….

    • Georgios sagt :

      Kaum. So ein Verhalten tritt nicht mehr als 2 Abende an meinem Tisch auf. Dann ist die Gruppe umstrukturiert.

      Ich habe vermutlich nur den falschen Blogs und Forenbeiträgen zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.

  3. rorschachhamster sagt :

    Also, insgesamt finde ich die Idee, daß das Bewegen in der eigenen Wohlfühlzone, im systemischen Bereich, nicht zwangsweise was mit Konservativ zu tun hat – sondern mit individuellen Vorlieben. Und auch nicht zu vergessen, Systembeherrschung, die das Spiel an sich in den Vordergrund rücken. Du wirfst da, meine Ich, zwei Sachen in einen Topf die höchstens tendentiell ein wenig miteinander zu tun haben.
    Und das ist keine Ablehnung deiner Kritiken an bestimmten Arschlöchern, sondern die Warnung vor ebenjenem Schubladendenken, gegen das du argumentiert hast, wenn ich mich nicht irre.

    Wenn ich aber hier über den Odyssee-Con das erste mal höre (bin aber überhaupt kein großer Con-Gänger) und zwar als positives Beispiel weil die Veranstalter Ausschluß zelebriert haben… dann klingt das doch etwas Merkwürdig. „Du bist nicht progressiv genug weil du ein Spiel spielst, das viele mögen.“ ? Wie geht denn das mit den anderen, richtigen Sachen zusammen die du gesagt hast?

    • Georgios sagt :

      Ich finde die Trennung zwischen „Bewegen in der eigenen Wohlfühlzone“ und „Vermeiden von Neuem, weil man einen Verlust des Bewährten fürchtet“ sehr ungenau. Es gibt sicherlich eine große Bandbreite zwischen „lieber keine Experimente wagen“ und „Anders ist schlecht!“, aber der konservative Ursprungsimpuls ist in meinen Augen der Gleiche. In einem Fall wird evtl. gemäßigt gehandelt und im anderen halt nicht.

      Was den Odyssee-Con angeht, halte ich es für verfälschend von Ausschluß im Sinne von Ausgrenzung zu sprechen. Wenn es für die drei nicht-zugelassenen Rollenspiele keine alternative Con-Präsenz gäbe, dann wäre der Vergleich legitim. Aber das ist ja per Definition nicht der Fall gewesen.

      Der Odyssee-Con ist ein Feiern der Nische und der Experimentierfreudigkeit gewesen. Ich würde es für ähnlich irrtümlich halten, wenn man bei LGBT-Abenden in einer Disco von „Ausschluß zelebrieren“ sprechen würde, nur weil das Programm sich mal nicht nach dem Geschmack von heterosexuellen Männern ausrichtet.

      Nur weil es einen Con gab, bei dem die drei Platzhirsche ausgeladen wurden, muss man nicht davon sprechen, dass Ausgrenzung zelebriert wurde. Das scheint mir eine sehr oberflächliche Sichtweise auf die Lage zu sein. Aber sie wurde dennoch oft und gerne von denen propagiert, die die oben erwähnte Belagerungsmentalität und reaktionäre Weltsicht verinnerlicht hatten.

      Nicht jeder Con ist für jeden Rollenspieler gedacht. Das ist auch völlig in Ordnung. Nicht jedes Rollenspiel ist für jeden Rollenspieler gedacht. Aber es sollte das Ziel unseres Hobbies sein ein reichhaltiges Angebot zu bieten, in dem jeder etwas für sich herauspicken kann und sich eine Gruppe suchen kann, die darauf einsteigen möchte.

      Diese Vielfalt und dieser Reichtum scheint mir unter die Räder zu kommen.

      • rorschachhamster sagt :

        Ok, ja, macht Sinn.
        Wobei ich, leicht trollend und mich gleich dafür entschuldigend, sagen könnte das es vielleicht ein Vorurteil ist, das LBGT Abende nicht nach dem Geschmack von heterosexuellen Männern sind, das eigentlich genau das gleiche besagt, was die Wohlfühlzone ausdrückt… 🙂
        Das ist wahrscheinlich der Idealist in mir, der sagt: „Können wir nicht alle miteinander auskommen?“ 😉
        Was der Realist beantwortet mit „Ja, schon… theoretisch…“ 😛

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